Cover
Titel
Valdemar den Store. Borgerkrigens barn


Autor(en)
Kjær, Lars
Erschienen
Kopenhagen 2022: GADs Forlag
Anzahl Seiten
295 S.
Preis
DKK 349,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Magnussen, Historisches Seminar, Abteilung für Regionalgeschichte, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Im Pantheon der dänischen Monarchie zählt Valdemar I. zu den prägenden Figuren. Immerhin gebührt ihm die prestigeträchtige Ehre, als „der Große“ zu gelten. Valdemar steht für den Beginn einer Ära, welche die dänische Geschichtsschreibung später als glorreiche „Valdemarszeit“ stilisierte: Die Jahre von 1157 bis 1241, in der Valdemar (1131–1182) und seine Söhne Knut VI. (1162/63–1202) und Valdemar II. (1170–1241) nicht nur das Reich aus seiner tiefen inneren Zerrissenheit geholt haben, sondern auch die dänische Großmachtstellung im Ostseeraum begründeten.

Als „der Große“ begegnet Valdemar auch den Leser:innen auf dem Cover des neuen Buches von Lars Kjær. Bei diesem handelt es sich aber nicht nur einfach um ein weiteres Werk zum dänischen Mittelalter, sondern – man mag es kaum glauben – um die erste biografische Darstellung Valdemars überhaupt.

Bislang näherte man sich Valdemar I. vor allem im Kontext einer dänischen Reichsgeschichte, was auch den Blick auf seine Person prägte. Schon früh wird den Leser:innen der neuen Biografie jedoch klar, dass Kjær den personenbezogenen Ansatz nutzen möchte, um Valdemar aus der innigen Umklammerung durch die dänische Historiografie zu lösen. Diese sei zu sehr der Schilderung der Gesta Danorum von Saxo Grammaticus um etwa 1200 gefolgt, die explizit das Ziel verfolgte, nach den krisengeschüttelten letzten Regierungsjahren das Positive der Regentschaft Valdemars hervorzuheben. Leider versäumt es der Autor, seine Kritik über einen kleinen Exkurs (S. 244, auch knapp S. 247) hinaus darzulegen, sodass sie für Leser:innen ohne Kenntnis des Themas etwas ins Leere laufen dürfte.

Gleich zu Beginn formuliert Kjær die Eckpunkte seiner Kritik: Weder seien die Zustände in Dänemark vor der Erhebung Valdemars im Jahr 1157 so dysfunktional wie traditionell dargestellt gewesen, noch habe die Regentschaft Valdemars den ihr zugeschriebenen integrativen Charakter gehabt.

Schon die Auswahl des Titelbildes zeigt die Ambivalenz des neuen Ansatzes. Denn während Valdemar auf dem hier abgebildeten Gemälde von Laurits Tuxen aus dem Jahr 1894, welches die Eroberung des slavischen Heiligtums des Svantovit auf Kap Arkona von 1168/69 aufgreift, noch in Manier eines siegreichen Feldherrn erscheint, führt der Untertitel in eine andere Richtung. Valdemar ist hier nicht wie im Haupttitel der große Monarch, sondern ein durch seine eigene Biografie konstituiertes Subjekt. Valdemar sei ein „Kind des Bürgerkrieges“ – im Singular.

Kjær bezieht sich hierbei auf die Auseinandersetzungen um die dänische Thronfolge, welche die 1130er- bis 1150er-Jahre prägten. Deren zentrale Rolle für das Verständnis Valdemars und seiner Regentschaft geht auch aus dem inhaltlichen Konzept des Buches hervor. Die Ausführungen beginnen nämlich nicht chronologisch mit der Geburt Valdemars im Jahr 1131, sondern mit dem sogenannten „Blutfest von Roskilde“ von 1157 (S. 10–13), bei dem König Knut V. einem politischen Attentat seines Konkurrenten Sven III. zum Opfer fiel, während Valdemar (wenn auch nur knapp) die Flucht gelang. Gleich zu Beginn werden die Leser:innen also mitten in die innere Zerrissenheit des dänischen Reiches geworfen, aus der Valdemar wenig später als alleiniger König hervorging.

Ausgehend von diesem Prolog, in dem Kjær auch seine leitenden Gedanken darlegt, schildert der Autor in sechs chronologisch geordneten Kapiteln den weiteren Lebensweg Valdemars I. von seiner Kindheit im rurikidischen Exil über seine Rückkehr nach Dänemark, seine Erhebung und Regentschaft bis zu seinem Tod im Jahr 1182. Immer wieder werden die Schilderungen dabei um kleinere Infokästen ergänzt, die Kontextinformationen etwa zu Saxo Grammaticus, Kindheit im 12. Jahrhundert oder den wichtigsten Familien dieser Zeit bereithalten. Den Abschluss bildet ein kleiner, konzeptionell jedoch dem letzten Kapitel inkorporierter Epilog, in dem Kjær das von ihm skizzierte Bild Valdemars mit der historischen Würdigung auf einer 1855 in seinem Grab gefundenen Bleitafel vergleicht.

Dieses Bild ist dabei kein durchweg Neues und die groben Leitlinien seines Lebens sind hinlänglich bekannt. Doch kritisiert Kjær die traditionelle Deutung der Regentschaft Valdemars als fortlaufenden und erfolgreichen Prozess der Integration des Reiches unter die dänische Krone. Dabei stellt er nicht in Abrede, dass genau dies das politische Ziel Valdemars gewesen sei. So gab es unter ihm nicht nur neue Hofämter wie einen Kanzler, auch gelang ihm die Etablierung eines dynastischen Vorrechts seiner Erblinie durch die frühzeitige Anerkennung seines Sohnes Knut zum Mitkönig. Ein Vorrecht, das durch die Heiligsprechung von Valdemars ermordeten Vater symbolisch betont wurde.

Kjær stellt den politischen Erfolgen jedoch die enormen Widerstände in Jylland (Jütland), Skåne (Schonen) und auf Fyn (Fünen) gegenüber. Dort lebende Eliten, aber auch potenziell thronberechtigte, nun aber übergangene Kontrahenten fassten vor allem die Einsetzung des Sohnes als Mitkönig als „Staatsstreich“ (S. 141) auf, da es das traditionelle Wahlrecht der jütischen und schonischen Landesteile aushebelte. Diese regionalen Konflikte prägten auch die Regentschaft Valdemars. Entgegen der bisherigen Deutung habe Valdemar es im Grunde nie vermocht, die nach wie vor lodernden Konflikte endgültig beizulegen. Entsprechend zeichnet Kjær auch ein düsteres Bild der letzten Tage des „großen“ Valdemar, der „alleine“ (S. 235) und von Gebrechlichkeit gezeichnet seine letzten Momente erlebte, während sich sein Reich „am Rande der Katastrophe“ befand (S. 230).

Diese nüchternere Betrachtung Valdemars, die auch stärker sein Scheitern und den rigorosen Umgang mit innenpolitischen Kontrahenten betont, wirft gleichwohl neues Licht auf Valdemars oft übersehenen Sohn Knut VI., dem es weit besser gelungen sei, die Interessen der einzelnen Fraktionen auszugleichen und das Reich zu stabilisieren.

Einen anderen Blick auf den Untertitel erlaubt indes die dritte von Kjær formulierte These, nach der Valdemar stärker in den europäischen Kontext seiner Zeit eingebettet werden müsse. Dies gelte nicht nur für seine realpolitische Koalitionspolitik mit den Pomeranen, Ranen und Abodriten – die Kjær als eigenständige Entitäten betrachtet (S. 20) –, in Norwegen oder im Heiligen Römischen Reich. Valdemar sei in den Augen des Autors ein moderner Monarch gewesen, der wissbegierig zeitgenössische Tendenzen in West- und Mitteleuropa aufgriff und sie produktiv für die eigene Herrschaft verarbeitete.

Hier nimmt insbesondere die biografische Verbindung Valdemars mit dem Reich der Rurikiden eine zentrale Stellung ein – was dem Werk einen ursprünglich wohl kaum geahnten Aktualitätsbezug verleiht.1 Nicht nur wurde er 1131 in Kyjiv geboren, auch habe er im kosmopolitischen Novgorod gelernt, ein „gelehrter, frommer und gleichsam gerechter Herrscher zu sein, der zugleich kaltblütig genug sein müsse, um das politische Spiel zu gewinnen“ (S. 35). Immer wieder stellt Kjær diesen Bezug zwischen Valdemars politischem Handeln als König und seiner Kindheit in Kyjiv und Novgorod her. Kjær deutet sogar die Namensgebung Valdemars – eine Bezugnahme auf seinen Urgroßvater Volodymyr II. Monomakh (1053–1125) – als Ausdruck eines mütterlichen Wunsches, nach der die Zukunft des Sohnes nicht im krisengeschüttelten und peripheren Dänemark, sondern im damals noch stabilen Reich der Rurikiden liegen solle. Erst Machtverlust und Tod seiner Onkel Erik II. von Dänemark (1137) und Vsevolod II. von Pskov (1138) hätten seinen Lebensweg stärker auf Dänemark ausgerichtet. Valdemar wäre somit also nicht nur Kind des dänischen, sondern auch des rurikidischen Bürgerkriegs – oder eben der Bürgerkriege, im Plural. Es bleibt jedoch die Frage, wie prägend die Erfahrungen für einen damals gerade einmal fünfjährigen Jungen gewesen sein können.

Trotz derlei offener Fragen (oder Diskussionsangebote) ist Lars Kjær eine interessante, äußerst gewinnbringend zu lesende und mit mehr als 50 großformatigen Abbildungen und Karten optisch äußerst ansprechende Biografie gelungen. Sie eröffnet einen neuen Blick auf diese zentrale Figur an einem Wendepunkt des nordischen Hochmittelalters und hält darüber hinaus neue Ansätze für eine transregionale Geschichte des hochmittelalterlichen Ostseeraumes bereit.

Anmerkung:
1 Dies zeigt sich auch in der Transliteration einiger Namen, die – wo angebracht – bereits in der ukrainischen und nicht in der oft üblichen russischen Fassung geschrieben sind (Kyjiv statt Kiew, Volodymyr statt Vladimir).

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